Realistisch, offen und mit ganzem Herzen Onlinejournalistin und Bloggerin. Das beschreibt Julia Hackober wohl ganz gut. Das Gespräch mit ihr über Journalismus, PR, schwachsinnige Interviewfreigabeprozesse und die Wichtigkeit von Social Media, war eine ganz besondere Freude!
Was genau ist dein Job und wie bist du dazu gekommen?
Ich bin Features Editor bei ICONIST.de, dem Lifestyle-Magazin der WELT. Dort arbeite ich nun schon seit der Gründung vor vier Jahren; vorher habe ich als freie Autorin gearbeitet und war zwei Jahre lang bei einem Onlinemagazin namens styleproofed.com, wo ich die Welt der Mode und des Onlinejournalismus’ überhaupt erst kennengelernt habe. In meinem Studium hatte ich damit keine Berührung – ich habe Europäische Kultur und Kulturjournalismus studiert. Nach dem Studium konnte ich zwar hochtrabende Feuilletons über die europäische Identität verfassen, von den Möglichkeiten, die die digitale Welt für den Journalismus bereit hält, hatte ich keine Ahnung.
Wie sieht dein typischer Arbeitstag aus?
E-Mails checken, Nachrichten checken, Facebook checken, Instagram checken. Morgens informiere ich mich immer als erstes über die Themenlage des Tages, danach erstelle ich eine To-Do-Liste. Der Onlinejournalismus ist ja ein schnelllebiges Metier, das heißt, ich kann mich selten an einen festgetakteten Arbeitsablauf halten. Wenn aktuelle Themen reinkommen, dann schreibe ich darüber zuerst und erledige meine festen Aufgaben danach. Dazu gehören zum Beispiel das Verfassen des Newsletters, das Aufnehmen und Schneiden unseres Podcasts “The Real Word”, das Planen von Interviews, Themen oder Videoformaten und natürlich ganz klassisch das Redigieren von Texten.
Wie sieht die Zusammenarbeit zwischen den Bereichen Print und Online bei der WELT-Gruppe aus? (Wie) hat sich der Redakteurs-Beruf in den letzten Jahren diesbezüglich verändert?
Bei der WELT arbeiten wir nach der Devise online first. Das heißt, dass wichtige und gute Themen zuerst online gehen und danach erst für die Printausgaben bearbeitet werden. Bei ICONIST läuft das ein bisschen anders, weil wir ein eigenes publizistisches Produkt betreuen und mehr als „nur“ ein Ressort sind; bei uns wandert auch oft eine Onlinegeschichte ins Blatt und andersherum bereiten wir ausgewählte Printartikel digital auf, außerdem gibt es das ICON-Magazin als blätterbares PDF auf der Seite.
Die meisten unserer Geschichten verfassen wir aber explizit für die Ansprüche der Onlineleser und –leserinnen. Das ist auch wichtig, wenn man beim Schreiben nämlich immer im Hinterkopf hat, dass der Text ja noch in die Zeitung muss, formuliert man ganz anders. Die Tonalität ist im Internet aber eine andere, man kann die Leser viel direkter und persönlicher erreichen. Die googeln sofort, wer den Artikel geschrieben hat, über den sie sich gefreut oder auch aufgeregt haben. Als Onlinejournalist kann man sich also nicht so einfach hinter einem Magazin-oder Zeitungstitel verstecken. Das bringt natürlich auch einen gewissen Druck mit sich: Wer sich online gut verkaufen kann und viele Social-Media-Follower hinter sich versammeln kann, hat es als Journalist sehr viel einfacher.
Ich würde sagen, diese Sichtbarkeit der eigenen Person ist das, was sich in den vergangenen Jahren am meisten verändert hat im Journalismus. Klar, es gab schon immer große Journalisten-Namen; aber dass man innerhalb weniger Monate mit wenigen Artikeln zum Szenestar werden kann, wie zum Beispiel Ronja von Rönne, das bringt schon das Internet mit sich. Also: Nur mit gedruckten Zeitungsartikeln kann man heute nicht mehr bekannt werden.
Wie kommst du in deinem Beruf am häufigsten an gute Geschichten, Informationen? Social Media, Newsseiten im Netz, persönliche Kontakte, eigene Recherche… ?
Ich schaue mir natürlich schon sehr genau an, was im Internet so los ist, welche Themen andere Zeitungen und Magazine aufgreifen, auch international. Man muss da aber schon aufpassen: Ich kann es allerdings nicht leiden, wenn die Medien immer alle voneinander abschreiben; wenn zum Beispiel ein neuer Modetrend auftaucht, dann erscheinen innerhalb von drei bis vier Wochen dutzende Artikel weltweit dazu. Erst online, dann im Print.
Am liebsten schreibe ich persönlich deshalb Geschichten, die von Alltagsbeobachtungen inspiriert sind, weil man sicher sein kann, dass es dann meine eigenen Gedanken sind, die zu Grunde liegen, und die Phänomene trotzdem allgemein genug sind, um viele Menschen zu interessieren.
Kürzlich habe ich zum Beispiel über die Unsitte geschrieben, dass die Hochzeitsgäste mit Geldgeschenken quasi die Hochzeitsfeier an sich finanzieren sollen. Der Artikel lief sehr gut bei uns, was andere Medien natürlich auch wieder „inspiriert“. Das ist ein ewiger Teufelskreis. Aber mir ist es immer noch lieber, wenn von mir „abgeschrieben“ wird, als dass ich von anderen abschreibe.
Etwas anderes ist es bei Debatten, wie bei der Diskussion um das Comeback des opulenten Dekolletés, die von einem Auftritt Rihannas ausgelöst wurde: Da ist es interessant zu lesen, was verschiedene Journalisten darüber denken.
Was ist deine Meinung zu Interviewfreigaben? Welches Erlebnis ist dir diesbezüglich am meisten im Gedächtnis?
Das ist ehrlich gesagt ein Dauerthema in unserer Redaktion. Die Probleme fangen nämlich oft schon lange vor der Freigabe an! Ich sage es jetzt mal ganz direkt: In der Modebranche wird Journalismus manchmal mit kostenloser Werbung verwechselt. Manche Marken wollen ganz extrem die Kontrolle über jedwede Berichterstattung behalten und fordern schon vor dem Interview die Fragen ein. Machen wir natürlich nicht, in solchen Fällen ist es immer gut, dass wir uns auf die Zugehörigkeit zu einem Zeitungsverlag berufen können. Die Auseinandersetzung mit den jeweiligen PR-Leuten, die natürlich oftmals unter extremem Druck von Seiten der beauftragenden Marke stehen, kann aber schon sehr anstrengend sein.
In einem Extremfall musste ich vor einem Interview die Themenkomplexe schriftlich einreichen, über die ich sprechen wollte; beim Interview saß die PR-Frau sogar dabei, hinterher musste ich trotzdem die Zitate zur Autorisierung schicken. Das Interview kam komplett neu geschrieben zurück, die Firma wollte dann sogar verlangen, dass ich den fertigen Artikel vor der Veröffentlichung schicke. Ich habe den Artikel am Ende als Fließtext, nicht als Wortlautinterview, veröffentlicht, weil ich das Thema an sich trotzdem interessant fand.
Eine Kollegin hatte auch mal den Fall, dass sich der Interviewte, der ein bisschen prominent war, nach Veröffentlichung so sehr über ihren Einleitungstext empörte, dass er ihr drohte, er würde keiner Zeitung von Axel Springer je wieder ein Interview geben, sollte sie einen bestimmten Satz nicht aus der Onlinefassung löschen. Die beiden haben sich am Ende gütlich geeinigt – aber es kann bei Interviews wirklich zu bizarren Streitereien kommen!
Du bekommst regelmäßig Angebote von PR-Menschen. Was hilft dir und womit kannst du überhaupt nichts anfangen?
Ich mag es, wenn ich sehe, dass sich die betreffende PR-Person mit unserer Website beschäftigt hat. Wir sind Journalisten und immer auf der Suche nach guten Geschichten, aber kein Abladeplatz für Pressemitteilungen. Interviewangebote sind daher immer willkommen, mal passt es eben, mal nicht. Wenn mir aber jemand schreibt, dass es ein neues Schuhmodell in Onlineshop XY gibt oder dass Influencer ABC für einen neuen Joghurt wirbt, weiß ich überhaupt nicht, was ich antworten soll; wo und wie sollen wir das denn ernsthaft vermelden?
Was bedeutet für dich gute PR? Kannst du sagen, welche Eigenschaften ein guter PR-Mensch mitbringen sollte?
Wie gesagt: Der PR-Mensch sollte sich Zeit nehmen, sich mit den verschiedenen Medien auseinanderzusetzen, anstatt krampfhaft zu versuchen, überall so viele Platzierungen wie möglich zu erzielen. Nach einigen Jahren in der Modebranche weiß ich, unter welchem Druck manche PR-Leute stehen, deshalb mache ich niemandem einen Vorwurf, der hartnäckig bleibt.
Dennoch sollte man immer überlegen, ob ein Thema wirklich zum Medium passt. Das gilt im Übrigen auch für Journalisten: Ich rege mich manchmal richtig auf, wenn ich auf mehreren Websites die Pressemitteilung entdecke, die ich selbst vor zwei Tagen im Posteingang hatte; die wird dann mal schnell vom Praktikanten ge-copy-pasted, damit man neuen Content hat.
Was sollte ein PR-Mensch im Job auf jeden Fall vermeiden? Gab es mal ein negatives PR-Erlebnis?
Ich kann es nicht leiden, wenn ich auf sämtlichen Kanälen bombardiert werde: E-Mail, What’s-app, Handyanrufe, womöglich noch auf dem privaten Telefon. Es geht in unserer Branche nicht um Leben und Tod, sondern nur um Mode! Chillt doch mal. Was ich auch nicht mag: Wenn sofort gefragt wird, ob eine Geschichte bitte nicht „nur online“, sondern auch in ICON-Print platziert werden kann. Manche Themen sind eben eher für’s Internet geeignet, die muss man nicht auf Krampf in den Print heben.
Welches sind deine drei liebsten Plattformen im Netz und warum?
Manrepeller.com – Leandra Medines Blog ist in den vergangenen Jahren zu einem originellen Sprachrohr meiner Generation geworden.
Betches.com – Mir gefällt es, wenn auch Frauen sich trauen, lustig zu sein.
British Vogue, also vogue.uk – Hauptsächlich wegen des tollen Video-Segments.
Wie schwierig ist es für dich, einen Abend nicht zum Smartphone (Laptop) zu greifen?
Schaffe ich nicht!
Blog, Job, Podcast, Social Media… hast du auch ein Privatleben?
Mein Privatleben und mein Beruf vermischen sich schon sehr. Ich thematisiere in meinen Texten und auch im Podcast häufig Angelegenheiten, die mir persönlich sehr nah sind. Und dass auf meiner Website regelmäßig neue Texte erscheinen, das ist schon eine Herausforderung. Allerdings bin ich der Meinung: Ich bin noch jung, habe keine Familie – jetzt ist die Zeit, um sich im Job richtig reinzuhängen. Und da auch egoistisch zu sein: Mein Freund wird am Sonntagnachmittag schon mal nach Hause geschickt, weil ich unbedingt! sofort! noch ein Video für Instagram drehen muss.
„Dürfen Kommunikatoren Social Media Muffel sein?“ Steffi Tönjes (Deutsche Telekom) und Daniel Neuen (Chefredakteur PR Report) haben diesbzgl. ihre Ansichten geäußert. Was ist deine Meinung?
Ich bin der Meinung, man kann keine App richtig verstehen, wenn man sie nicht selbst bedient. Insofern sollte sich jeder, der mit sozialen Medien und Kommunikation zu tun hat, zumindest einmal bei Twitter, Instagram & Co. anmelden. Das heißt ja nicht, dass man dort für immer bleiben und sein ganzes Leben öffentlich machen muss.
Meinen privaten Twitter-Account habe ich zum Beispiel kürzlich gelöscht. Mir liegt die Art der Kommunikation auf Twitter nicht, vor allem, weil alle im gleichen verkümmerten, sprachlichen Duktus ihre Witzchen machen. Ich finde, auf Twitter bewegt man sich sehr schnell nur noch in einer von Social-Media-Redakteuren geprägten Filterblase. Instagram bietet für mich viel mehr Möglichkeiten, sich kreativ auszudrücken und die eigene Arbeit angemessen zu präsentieren. Also, mein Fazit zum Thema Social Media: Mitmachen ja, unbedingt, aber nur so weit, wie man sich selbst damit wohlfühlt!
Kannst du dich (ganz allgemein) an eine PR-Aktion erinnern, die dich begeistert hat? Wenn ja welche und warum?
Als Magnum uns Eis in die Redaktion gebracht hat! Bestimmt darf ich so was eigentlich gar nicht erzählen, aber das Eis MUSSTEN wir ja annehmen – wäre sonst geschmolzen. Unsere Programmierer haben sich jedenfalls sehr darüber gefreut. Danke noch mal!
Könntest du dir vorstellen, vom Journalismus in die PR zu wechseln? Warum /warum nicht?
Im Moment muss ich ehrlich sagen: nein. Mir macht die strategische Arbeit an iconist.de und auch an meinem eigenen Blog juliahackober.com unheimlich viel Spaß. Ich überlege gern, wie wir die Seite zu einem besseren publizistischen Produkt machen können, vor zwei Monaten haben wir beispielsweise einen neuen Newsletter ins Leben gerufen, der wie ein kleines Extra-Medium zusätzlich zu iconist.de funktioniert. (Achtung, der Anmeldeprozess ist NOCH sehr kompliziert, aber wir arbeiten dran!)
Außerdem trägt bei mir dieses idealistische Grundgefühl von Journalisten, das zum Beispiel wirtschaftliche Aspekte ausgleicht, noch ganz gut: Mir gefällt es sehr gut, mit Lesern meiner Texte oder Zuhörern des Podcasts in Kontakt zu kommen und das Gefühl zu haben – ich kann ausdrücken, was andere bewegt.
Vielen Dank, liebe Julia!